Aktuelles zur OB-Wahl in Kassel

Kassel strategisch als Wissenschaftsstandort stärken

In einem offenen Brief fordert das Präsidium der Universität Kassel die Kandidierenden zur Oberbürgermeisterwahl auf, die Rolle Kassels als Wissenschaftsstandort zu stärken.

Dr. Sven Schoeller antwortet ausführlich auf diese gute Initiative der Universität.

Sehr geehrte Frau Präsidentin Clement,
Sehr geehrter Herr Kanzler Fromm,
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Buckel,
Sehr geehrte Herren Vizepräsidenten Matzdorf und Wachendorf,

herzlichen Dank für Ihr Schreiben und dezidiertes Ansinnen, Kassel in den nächsten Jahren in enger Kooperation zwischen Universität und Rathaus strategisch als Wissenschaftsstandort zu stärken und auszubauen.  Dieses Ansinnen teile ich ausdrücklich und freue mich dazu auf einen konstruktiven Austausch.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1971 hat die Universität unsere Stadt wesentlich geprägt und ist ein Garant für ihre Zukunftsfähigkeit. Sie haben in Ihrem Schreiben anhand vieler Beispiele den wirkstarken Einfluss der Universität  auf die Stadtentwicklung eindrucksvoll beschrieben. Lassen Sie mich aus meiner ganz persönlichen Erfahrung ein aktuelles Beispiel hinzufügen: Ohne das engagierte Mitwirken von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität im Klimaschutzrat mit ihren Themenwerkstätten hätte die im letzten Jahr veröffentlichte Klimaschutzstrategie der Stadt nicht entwickelt werden können. Die hochqualifizierte wissenschaftliche Zuarbeit entstand dabei im Wesentlichen auf ehrenamtlicher Basis. Auch dafür gebührt den Beteiligten und der Universität ein ganz besonderer Dank.

In Ihrem Schreiben vom 03.02.2023 skizzieren Sie fünf wichtige Handlungsfelder zur weiteren Stärkung der Universität und zum Ausbau Kassels als Wissenschaftsstandort. Gerne gehe ich nachfolgend auf Ihre Ausführungen näher ein:

Zukunftssichere Regionalentwicklung
Kassel mit seinem Umland hat trotz des sich vollziehenden Strukturwandels nach wie vor einen starken industriellen Kern, gerade auch in den zukunftsträchtigen Bereichen Mobilität und Energietechnik. Beispielhaft genannt seien hierfür Volkswagen mit ihrem E-Motoren-Zentrum in Baunatal, Daimler Truck mit der Produktion der E-Achse sowie SMA als weltweit führendes Unternehmen für Wechselrichter.

Ganz zurecht verweisen Sie auf die bestehenden regionalen Vernetzungsstrukturen zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, die in der Vergangenheit bereits wichtige Kooperationsprojekte, wie den Science Park, ermöglichten. Ich bin ausdrücklich offen für Ideen zum weiteren Ausbau dieser wichtigen Transfereinrichtung sowie eine verstärkte städtische Start-up-Förderung. Dies gilt besonders für die Bereiche Umwelt, Klima und Energie sowie Digitalisierung. Des Weiteren wäre ich an Ihren Ideen interessiert, wie das Technologie- und Gründerzentrum FIDT in einem erweiterten Transferkonzept zu berücksichtigen wäre.
Ihre erfolgreiche Einwerbung einer bedeutenden finanziellen Förderung im Bundes-Programm Innovative Hochschule lässt hoffen, dass der Wissenstransfer aus der Universität in die Gesellschaft, gerade im Bereich der Nachhaltigkeit, deutlich gestärkt werden kann und sich strukturstärkend für die ganze Region Nordhessen nutzen lässt. Die Stadt Kassel sollte dazu ihren Beitrag leisten, auch durch Unterstützung der im Projekt vorgesehenen Reallabore. Mir ist vollkommen bewusst, dass die anstehenden Transformationsprozesse hin zur Nachhaltigkeit nur interdisziplinär, kooperativ und im regionalen Verbund angegangen werden können.

Ein weiteres Zukunftsfeld sehe ich im Bereich der Kreativwirtschaft. Studierende sowie Absolventinnen und Absolventen der Kunsthochschule erlebe ich als Quell spannender und inspirierender Ideen. Gleichzeitig ist die Sogkraft von Städten wie Berlin weiter ungebrochen. Wenn es uns gelingt, Kreative durch gezielte Angebote und Netzwerke zu Unternehmerinnen und Unternehmern zu machen, können wir sicherlich viele junge Menschen und zukunftsträchtige Ideen in der Stadt halten. Sie machen unsere Stadt vielfältig und zukunftsfähig. Die Universität ist für mich der entscheidende Innovationsmotor und Impulsgeber für Kassel und die Region Nordhessen. Ich biete Ihnen für den Fall meiner Wahl an, in regelmäßigen Abstimmungstreffen wesentliche Zukunftsfragen der Universität im Zusammenspiel mit unserer Stadt vertrauensvoll und lösungsorientiert zu besprechen.

Zuletzt und nicht ganz uneigennützig: Als möglicher zukünftiger Verwaltungschef bin ich natürlich daran interessiert, für das Kasseler Rathaus kluge Köpfe aus der Universität Kassel zu gewinnen. Hierfür werde ich nicht nur eine Ausbildungsoffensive starten, sondern kann mir auch neue Kooperationsformen bis hin zu universitär-städtischen Praxismodulen gut vorstellen.

Forschungslandschaft erweitern
Die Universität Kassel als einzige staatliche Hochschule in Nordhessen bietet ein breites Fächerangebot in den Bereichen Natur, Technik, Kultur und Gesellschaft in beinahe allen akademischen Disziplinen. Mit der richtungsweisenden Entscheidung der Universität zur Gründung des Kassel Institute for Sustainability entsteht gerade ein wissenschaftliches Zentrum, ausgestattet mit bis zu 17 neuen Professuren, das zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen forscht und lehrt.  Hier setzt die Universität Maßstäbe und ist thematisch am Puls der Zeit. Mit Unterstützung des eingeworbenen Bundesprojekts Innovative Hochschule soll auch der Wissenstransfer und die Interaktion der Universität mit Wirtschaft und Gesellschaft deutlich gestärkt werden.

Das Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) als Einrichtung für angewandte, umsetzungsorientierte Energieforschung hat sich in den vergangenen Jahren in der internationalen Forschungslandschaft erfolgreich etabliert. Das neue imposante Institutsgebäude in Laufdistanz zum Uni-Campus steht bildlich für diese erfreuliche Entwicklung.

Ihr ambitioniertes Ziel, vor diesem Hintergrund neue Forschungsinstitute im Umfeld beider Einrichtungen anzusiedeln, findet meine volle Unterstützung. Das Thema Resiliente Energiesysteme könnte dabei sicherlich auf bestehende Strukturen in Kassel zurückgreifen, während das Thema Ökologische Agrarwissenschaft vermutlich im Umfeld des Universitätsstandorts Witzenhausen zu verorten wäre. Ich bin sehr daran interessiert, hierzu Ihre Überlegungen kennenzulernen. Diese angedachten Neuansiedlungen wären strukturelle Großprojekte, für die wir eine starke politische Unterstützung, besonders in Wiesbaden und Berlin, organisieren müssten. Hierbei dürfen Sie mich im Falle einer erfolgreichen mit Tat- und Überzeugungskraft an Ihrer Seite wissen.

Ihren Wunsch, dass sich das documenta-Institut rasch als unabhängiges, außeruniversitäres Forschungsinstitut etabliert und so die Kasseler Forschungslandschaft sichtbar bereichert, findet ebenfalls meine volle Unterstützung. Der thematische Zuschnitt als documenta-Institut oder documenta-Zentrum wird abschließend zu treffen sein, wobei ich persönlich einer Ausrichtung nicht nur für rein wissenschaftliche Zwecke, sondern zusätzlich als einen Ausstellungsort „zwischen den Ausstellungen“ präferiere. Ich denke, dass hierdurch ein neuer und dauerhafter Anziehungspunkt von internationalem Rang in unserer Stadt geschaffen werden kann.

Wohnraum-Garantie für Studierende
Der Wohnungsmarkt in Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt. Preiswerte Mietwohnungen sind immer schwieriger zu finden, auch für Studierende. Im hessen- oder deutschlandweiten Vergleich liegen die Mieten in Kassel für Wohnungen oder WG-Zimmer allerdings noch unterhalb des Durchschnitts. Diese Statistik hilft jedoch im Einzelfall nicht immer, auch in Kassel benötigen wir ausdrücklich mehr bezahlbaren Wohnraum. Deshalb habe ich als Stadtverordneter dem sehr ambitionierten Wohnraumversorgungskonzept zugestimmt, mit dem die Errichtung tausender neuer Wohnungen in Kassel erreicht werden soll. Es wird noch gewaltiger Anstrengungen bedürfen, diesen Wohnraum tatsächlich zu schaffen.
Mit einer Wohnraumgarantie für Studierende würde Kassel als Stadt an Attraktivität zum Studieren und Leben für junge Menschen noch weiter hinzugewinnen. Ich begrüße es daher, wenn wir Möglichkeiten hierfür in Abstimmung mit dem Studierendenwerk und privaten Anbieter*innen prüfen. Ausgangspunkt hierfür ist eine Analyse des Marktes für typische Studierendenwohnungen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen genauen Inhalten Garantieversprechen gegeben werden könnten, ist im Detail mit einer Fülle zu klärender Punkte verbunden. Zu Bedenken haben wir hierbei auch, dass Wohnraumbedarf nicht ausschließlich bei Studierenden besteht. Wir haben den Auftrag, für die gesamte Bevölkerung angemessenen Wohnraum zu bezahlbaren Preisen zu gewährleisten. Auch hierzu bin ich sehr an Ihren Ideen und Ihrer Meinung interessiert.

Bildungslandschaft Nord aufbauen
Ich sehe es als meine Aufgabe an, als Oberbürgermeister die Universität eng in unsere städtebauliche Entwicklung einzubeziehen, gerade dort, wo ihre Interessen berührt sind. Ich stehe hinter Ihrer Idee, unter Einbeziehung des Schlachthofs, der Schule Hegelsberg, der Elisabeth-Knipping-Schule und der VHS eine Bildungslandschaft Nord zu formen. Vielleicht lässt sich hier im Rahmen eines Ihrer zukünftigen Reallabore die Zusammenarbeit unterschiedlicher Institutionen, wie von Ihnen gewünscht, von der Kindertagesstätte über allgemeinbildende und berufliche Schulen bis hin zu Universität und Erwachsenenbildung erproben. Ich unterstütze diesen Ansatz ausdrücklich und setze mich ggf. gerne für seine Verwirklichung ein.
Die Idee einer Bildungslandschaft Nord kann entscheidend dazu beitragen, ein vormalig industriell geprägtes Quartier zu einem lebendigen und attraktiven Ort zu entwickeln.

Universität (räumlich) stärker mit der Stadt verschränken
Bereits jetzt ist die Universität mit ihrem Hauptcampus und den zahlreichen angemieteten Gebäuden rund um den Holländischen Platz immer dichter an die Innenstadt herangerückt. Auch in nördlicher Richtung wird sich die Universität mit den Neubauten für die Naturwissenschaften sichtbar erweitern. Darüber hinaus planen Sie in der Innenstadt ein akademisches Forum als Außenstelle der Universität und Ort der Begegnung zwischen (Stadt)gesellschaft und Wissenschaft. Auch hierzu würde ich mich mit Ihnen sehr gerne austauschen.

Eine Überplanung des Innenstadtrings wird im Falle meiner Wahl eines meiner Kernprojekte im Bereich der Stadtentwicklung. Wir brauchen ein städtebauliches Konzept für die Kasseler Altstadt, mit dem sich die Barrierewirkung zum Beispiel der Kurt-Schumacher-Straße zwischen Entenanger und Pferdemarkt verringert. Dies würde auch dazu beitragen, den Uni-Campus besser an die Innenstadt anzubinden.

Was die verkehrliche Anbindung der Universität für den Rad- und Fußverkehr betrifft, sprechen Sie mir aus der Seele. Ein übergeordnetes Ziel meiner Amtszeit wird die gerechtere Aufteilung der Verkehrsflächen in der Stadt sein. Die Raddirektverbindung Richtung Vellmar wird eine wesentliche Verbesserung darstellen, die wir zügig zum Abschluss bringen sollten. Über die West-Ost Radverbindung von der Langen Straße über die Goethestraße, das Königstor, Neue Fahrt bis zur Universität muss ein sicheres und entspanntes Radeln möglich sein. Mit der Neugestaltung der Menzelstraße als Fahrradstraße hat sich der Radverkehr rund um die Kunsthochschule meines Erachtens bereits merklich entspannt. Für den Uni-Standort Ingenieurschule sehe ich gute Chancen, bspw. über Verkehrsversuche, weitere Verbesserungen für den Rad- und Fußverkehr auf der Wilhelmshöher Allee zu erreichen.


Die Weiterentwicklung des ÖPNV in Kassel und der Region muss selbstverständlich auch die Bedürfnisse der Studierenden, die nicht in Kassel, sondern im Umland wohnen, berücksichtigen.

Mein Bild von Kassel ist das einer weltoffenen Stadt. Daran hat die Universität erheblichen Anteil. Ich empfinde gerade die internationalen Studierenden als große Bereicherung für unsere Stadtgesellschaft. Als Oberbürgermeister möchte ich die Idee der Städtepartnerschaften mit neuem Leben füllen und weiter stärken. Mich interessiert, welche Rolle die Universität dabei einnehmen könnte und wie ihre Internationalisierungsstrategie zu diesem Ansatz passt. Konkret könnte ich mir gezielte Projekt- und Austauschformate vorstellen, natürlich unter der Prämisse der akademischen Sinnhaftigkeit. Gerade in einer Zeit wachsender internationaler Spannungen glaube ich an die Kraft persönlicher Begegnungen und eigenen internationalen Erfahrungen.
Zum Schluss möchte ich unterstreichen, dass ich Ihren Wunsch nach einer stärkeren Kooperation von Universität und Stadt zum Wohle Kassels ausdrücklich teile. Meine Amtszeit steht unter der Überschrift eines dialog- und lösungsorientierten Politikstils. Voran kommen wir nur gemeinsam, nicht gegeneinander. Ich greife Ihr Gesprächsangebot sehr gerne auf, lassen Sie uns zügig einen Termin vereinbaren.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Sven Schoeller
Kandidat für die Oberbürgermeister-Wahl 2023